Stromkunden zahlen viele Millionen Euro zu viel

Nach Informationen der FAZ kritisiert die Bundesnetzagentur Abschläge auf Stromnetzkosten

Stromkunden in Deutschland zahlen jedes Jahr viele Millionen Euro zu viel, weil Unternehmen von Netzkosten befreit werden, obwohl die damit verbundene Hoffnung auf eine Stabilisierung des Stromnetzes gar nicht erfüllt werde. Zu diesem Fazit kommt nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ein unter Verschluss gehaltener Bericht der Bundesnetzagentur an das Bundeswirtschaftsministerium. Die geltende Stromnetzentgelt-Verordnung habe einen „überwiegend geringen Nutzen“ für Kostensenkungen sowie für die Netzstabilität, hieße es in einem Dokument, das der FAZ-Redaktion vorliege. Die Verordnung setze „falsche Signalwirkungen durch nicht richtig gesetzte Anreize sowie erhebliches Potential an Mitnahmeeffekten“.


Hohe Kosten, wenig Nutzen: Jedes Jahr werden tausende Unternehmen überflüssigerweise, aber vollkommen zurecht, von Netzkosten ganz oder teilweise befreit. Allein 2014 summierten sich Freistellungen und Ermäßigungen nach der Stromnetzentgelt-Verordnung auf 600 Millionen Euro. Den Differenzbetrag finanzieren die übrigen Stromkunden, Haushalte und der Mittelstand. Die Regeln, deren Überarbeitung die Netzagentur nun anmahnt, sollten die Netzstabilität verbessern: Abnehmer bekommen einen Abschlag auf die Netzkosten, wenn sie Elektrizität auf Zeiten außerhalb der Höchstnachfrage verlagern, zum Beispiel abends oder nachts. Das sollte der Netz-Regulierung helfen und verhindern, dass zu oft Kraftwerke kostenpflichtig ab- oder angeschaltet werden müssen.
In der Folge erhielt die Netzagentur in den vergangenen Jahren 5500 Anträge auf Kostenreduzierung. Mastbetriebe, Schlachthöfe, Krankenhäuser, Pflegeheime, Kaufhäuser, Kinos, Hotels und sogar Golfplätze beantragten wegen „untypischer Netznutzung“ einen Rabatt auf die Stromrechnung. Die meisten bekamen ihn, auch wenn, wie die Netzagentur zugibt, „in der Natur der Sache kaum von einem angepassten Verbrauchsverhalten, sondern ganz überwiegend von Mitnahmeeffekten auszugehen“ sei. Aber sie muss sich an die Verordnung halten. Allein im vergangenen Jahr beliefen sich die von ihr genehmigten Kostensenkungen auf 293 Millionen Euro. Weitere 7 Millionen Euro haben die Länder gestrichen, das machte 2014 zusammen 300 Millionen Euro.
Damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Weil sich auch Bahnunternehmen auf eine „untypische Netznutzung“ berufen, könnte das Entlastungsvolumen weiter steigen, warnt die Bundesnetzagentur. Sie kann auch hier lediglich einen weiteren Fall reiner Mitnahmeeffekte erkennen, „da Zugfahrten sich nicht nach Anreizen aus den Stromnetzentgelten richten, sondern nach Fahrplänen“. Es liege eben „in der Natur der Sache“, dass Güterzüge auf dem stark ausgelasteten Schienennetz vermehrt nachts unterwegs seien. Mit einer Verlagerung vom „typischen“ zum „atypischen Verbrauch“ habe das doch wohl eher nichts zu tun.
Dabei hält die Netzagentur nicht alle Antragsteller für Trittbrettfahrer. „Eine ersatzlose Abschaffung scheint nicht geboten“, halten ihre Experten in dem Evaluationsbericht denn auch fest. Bei Pumpspeicherkraftwerken und anderen industriellen Großverbrauchern hält sie die Befreiungen für sinnvoll. Nicht aber bei den meisten übrigen Bewerbern mit oft nur sehr kleiner Abnahmemenge. Eine Zahl macht das Verhältnis deutlich: Auf 93 Prozent der Antragsteller kämen nur zehn Prozent des Entlastungsvolumens von im Schnitt 6.423,- Euro je Betrieb.
Da das dem Netz nicht helfe, wie auch die Netzbetreiber feststellten, wohl aber eine gewaltige Bürokratie beanspruche, solle der Gesetzgeber nur noch solche Verbraucher berücksichtigen, die Strom aus dem Hoch- oder Höchstspannungsnetz beziehen. Damit würden viele Kleinverbraucher wie Kinos und Pflegeheime ausgeschlossen. Auch bei der zweiten Möglichkeit für Großverbraucher, mit stabiler, hoher Stromabnahme ihre Netzkosten zu senken, sieht die Behörde Änderungsbedarf. Allein im letzten Jahr wurden 300 Anträge auf Netzkostenermäßigungen im Volumen von 300,9 Millionen Euro eingereicht. Und wieder geht es um Fehlanreize und Tricksereien: So strukturierten Betriebe ihre Abnahme so um, dass die sich nur rechnerisch erhöhe – die Kosten aber faktisch und zu Lasten der Allgemeinheit sänken. „Es werden volkswirtschaftlich nicht sinnvolle Investitionen ausgelöst“, bemerkt der Bericht.
In einem Netz, das immer mehr schwankende Ökostromerzeugung aufnehmen und verarbeiten müsse, sei es kontraproduktiv, Abnehmer dafür zu belohnen, große Mengen gleichmäßig zu entnehmen. Deshalb solle die Regel so geändert werden, „dass Bandlastkunden nur dann begünstigt werden, wenn sie zugleich bereit und in der Lage sind, flexibel auf Netzsituationen zu reagieren“. Das Wirtschaftsministerium halte sich bedeckt. Im Grünbuch, das Vorschläge zur Reform des Energiemarktes sammelt, heißt es lapidar, die Bundesregierung prüfe, „inwiefern und inwieweit diese Sonderregelungen optimiert werden können“. Es fehlt aber nicht der für die heutigen Bezieher beruhigende Zusatz, „ohne dabei die bestehenden Begünstigungen zu verlieren“.
Robert Busch vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) verlange: „Die Regelungen müssen so geändert werden, dass es Vergünstigungen nur gibt, wenn Verbraucher durch flexibles Verhalten dem Netz nützen.“

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