Bundesgerichtshof erfindet den PV-Anlagenbegriff neu

Der Bundesgerichtshof (BGH) überrascht mit einer weitreichenden Entscheidung

Eigentlich sollte sich der BGH mit der Frage der Inbetriebnahme von Photovoltaik(PV)-Anlagen unter dem EEG 2009 befassen. Am 1.12.2015 legten die Karlsruher Richter nun die Begründung zu einem Urteil vom 4.11.2015 (Az. VIII ZR 244/14) vor und verwundern damit die Fachwelt:
Das OLG Nürnberg hatte als Vorinstanz in einem Fall, in dem ein Solarpark über den Jahreswechsel 2011/2012 in Betrieb genommen worden war und in dem die Betreiberin für die noch im Jahr 2011 in Betrieb gesetzten Module den sogenannten „Glühbirnentest“ zum Beleg der Inbetriebnahme durchgeführt hatte, noch geurteilt, dass dieser Test allein für eine Inbetriebnahme von PV-Modulen auch im Geltungsbereich des EEG 2009 nicht hinreichend sei. Vielmehr sei es auch im Rahmen des EEG 2009 bereits notwendig gewesen, dass die maß-geblichen PV-Module grundsätzlich dauerhaft Strom zur Einspeisung in das öffentliche Netz erzeugen und anbieten können, was mehr oder minder erfordere, dass die Anlage - wie es eigentlich erst seit dem EEG 2012 ausdrücklich im Gesetz verankert ist - auch an ihrem angedachten Standort in Betrieb genommen wird. Weil aber die Module im vorliegenden Fall zunächst in einer Lagerhalle mittels Glühbirnentest in Betrieb gesetzt und erst nach dem 31.12.2011 an ihren endgültigen Standort verbracht worden waren, hatte das OLG eine Inbetriebnahme der Module erst im Jahr 2012 und damit auch im Geltungsbereich des über den Jahreswechsel in Kraft getretenen EEG 2012 angenommen. Die hiergegen gerichtete Revision der Anlagenbetreiberin wies der BGH nun mit einer bemerkenswerten und gänzlich unerwarteten Begründung zurück: Anstatt den Rechtstreit über die in den Vorinstanzen hoch umstrittene Frage zu klären, ob bereits im EEG 2009 das eigentlich erst mit dem EEG 2012 eingeführte Inbetriebnahmekriterium der Ortsfestigkeit existierte, löste der BGH den Fall dem Grunde nach ohne Anlass über den Anlagenbegriff des EEG 2009 und urteilte:

Für den § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009 zugrunde liegenden - weiten - Anlagebegriff, unter dem die Gesamtheit aller funktional zusammengehörenden technisch und baulich notwendigen Einrichtungen zu verstehen ist, ist maßgeblich, nach welchem Gesamtkonzept die einzelnen Einrichtungen funktional zusammenwirken und eine Gesamtheit bilden sollen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 23. Oktober 2013 - VIII ZR 262/12, NVwZ 2014, 313 Rn. 23, 32 ff., 40). Nicht das einzelne, zum Einbau in ein Solarkraftwerk bestimmte Fotovoltaikmodul ist als eine (eigene) Anlage gemäß § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009 anzusehen, sondern erst die Ge-samtheit der Module bildet die Anlage "Solarkraftwerk".

Das Urteil erstaunt, denn nach bislang unumstrittener Auffassung sämtlicher Instanzgerichte, der einschlägigen Fachliteratur, der Clearingstelle EEG und des Gesetzgebers galt bisher stets das einzelne PV-Modul als „Anlage“ im Sinne des EEG. Der BGH sieht dies im An-schluss an sein auf Biogasanlagen bezogenes Grundsatzurteil vom 23.10.2013 aber grund-sätzlich anders und macht damit deutlich, dass er seine hoch umstrittene und scharf zu kritisierende Rechtsprechung zum Anlagenbegriff ganz offensichtlich auf alle Formen der Erneu-erbaren Energien erstrecken will. Zu diesem Zwecke scheut der Senat auch nicht davor zurück, gleichsam neue Begrifflichkeiten, wie etwa das „Solarkraftwerk“ (womit er offenbar die Gesamtheit aller Module an einem Standort meint) zu erfinden und diese dem Anlagenbegriff gleichzusetzen. Auch löst er sich von der bislang funktional geprägten Sichtweise des Anla-genbegriffes und führt aus, dass letztlich alle einem - wie auch immer zu bestimmenden - Gesamtkonzept dienenden Einheiten eine gemeinsame Anlage bilden sollen. Damit löst der BGH aber die ohnehin kaum vorhandenen Konturen des Anlagenbegriffes gänzlich auf und macht die rechtliche Beurteilung konkreter Anlagenkonstellationen nahezu unmöglich.

Der BGH überschreitet damit deutlich die ihm eingeräumten Kompetenzen – wie in der Vergangenheit leider schon allzu oft wird das Gericht nicht rechtsfortbildend, sondern vielmehr rechtsschöpfend tätig. Zur Rechtfertigung bemüht das Gericht zwar verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, dass es dem Gesetzgeber verwehrt sei, eine bestimmte Auslegung des Gesetzes durch die Gerichte nachträglich zu korrigieren. Es verkennt dabei aber, dass es sich selbst in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise über die ausdrücklichen Vor-gaben des Gesetzgebers hinweg setzt. Denn Fakt ist, dass eine Vielzahl der EEG-Vorschriften gerade auf einen modulscharfen Anlagenbegriff bei PV-Anlagen zugeschnitten ist. Beispielhaft lassen sich hier die mit der Novellierung 2012 in das EEG neu auf-genommen Regelungen des § 6 Abs. 3 EEG 2012 (neu: § 9 Abs. 2 EEG 2014) zur Anlagenzusammenfassung für die Leistungsermittlung im Zusammenhang mit den erforderlichen technischen Einrichtungen für das Einspeisemanagement sowie die Austauschregel des § 32 Abs. 3 EEG 2012 (neu: § 51 Abs. 4 EEG 2014). Diesen Normen liegt ausweislich der Geset-zesbegründung ausdrücklich die gesetzgeberische Vorstellung zu Grunde, dass bereits das einzelne PV-Modul die Anlage im Sinne des EEG ist; und dabei wurde der Anlagenbegriff des EEG 2009 ebenso ausdrücklich inhaltsgleich und unverändert in das EEG 2012 übernom-men. Wie der BGH gleichwohl dazu kommt, all diese Anhaltspunkte beiseite zu schieben und einen gänzlich diametralen PV-Anlagenbegriff zu statuieren, ist in keiner Weise nachvollziehbar.
Die mit dem Urteil einhergehenden Auswirkungen sind aktuell in ihren einzelnen Ausprägungen noch nicht absehbar. Sie dürften aber sehr weitreichend sein und sich nicht auf die zuletzt ausgeurteilte Fragestellung beschränken. Ein Blick auf die tendenziöse, anlagenbetreiber-feindliche Rechtsprechung des BGH zum EEG aus den letzten beiden Jahren lässt zudem für die Zukunft nichts Gutes erahnen.

Quelle: www.maslaton.de

 

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